Dauerobservation von Sexualstraftäter erfordert aktuelles Gutachten

Eine Dauerobservation entlassener Sexualstraftäter ist nur bei dem Vorliegen eines aktuellen psychiatrischen Gutachtens im Hinblick auf die Gefährlichkeit der Zielperson statthaft.

Der Staat kann sich dabei nur vorläufig auf polizeiliche Generalklauseln stützen.

Hintergrund: Nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Regelungen zur Sicherungsverwahrung für unwirksam erklärt hat, mussten zahlreiche als gefährlich eingestufte Täter in die Freiheit entlassen werden. Bei einigen von ihnen wurde eine dauerhafte Observierung durch Polizeibeamte angeordnet, um so die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten.

Ähnlich gestaltete sich die Situation auch in dem vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelten Sachverhalt. Der ursprünglich wegen Vergewaltigung verurteilte Kläger war aus der Sicherungsverwahrung entlassen worden, unterlag ab diesem Zeitpunkt jedoch einer ständigen Beobachtung durch Polizeibeamte. Unter anderem wiesen sie bei einer Kontaktaufnahme mit Frauen diese auf den Grund der Observation hin. Rechtliche Grundlage für diese dauernde Observation war dabei die polizeiliche Generalklausel.

Das Bundesverfassungsgericht wies darauf hin, dass diese Klausel zwar vorläufig ausreichen würde um eine solche Maßnahme durchzuführen, im Angesicht einer möglichen Lücke im Gesetz es aber die Aufgabe des Gesetzgebers ist, eine entsprechende rechtliche Grundlage für eine Dauerobservation zu schaffen. Ansonsten würde die Gefahr bestehen, dass die Gerichte die polizeiliche_Generalklausel auf Dauer nicht als geeignete Grundlage ansehen und die Observationen damit rechtswidrig wären.

In dem zugrunde liegenden Sachverhalt ergibt sich die Rechtswidrigkeit der Observation aber aus einem anderen Umstand. Die vorherigen Instanzen haben ein psychiatrisches Gutachten aus dem Jahr 2010 als ausreichende Rechtfertigung für die Observation erachtet. Dieses wurde aber zur Zeit der Inhaftierung angefertigt. In diesem Zeitpunkt konnte der Gutachter allenfalls Mutmaßungen über das Verhalten des Betroffenen in Freiheit anstellen. Inzwischen lebt dieser aber seit geraumer Zeit und unter ständig wechselnden Bedingungen in Freiheit. Die veralteten Vermutungen sind somit nicht mehr geeignet, eine ausreichende Grundlage für die ständige Überwachung des entlassenen Straftäters durch die Polizei zu rechtfertigen.

Zur Klärung der Frage nach der aktuellen Gefährlichkeit des Betroffenen muss deshalb das zuständige Verwaltungsgericht ein erneutes Verfahren durchführen.
 
Bundesverfassungsgericht, Urteil BVerfG 1 BvR 22 12 vom 08.11.2012
Normen: §§ 1, 3 BW PolG
[bns]
 
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